Der Fernsehturm ist geschlossen – wir sind traurig und erschüttert!

Gestern, am 27. März 2013 gegen 15 Uhr verkündete der GRÜNE OB Fritz Kuhn in einer Pressekonferenz die vorübergehende(?) Schließung des Fernsehturms.
„Ich bin gezwungen, mit sofortiger Wirkung den Zugang zum Fernsehturm zu untersagen. Der Brandschutz, so wie ihn die Landesbauordnung vorschreibt, ist nicht gewährleistet.“ weiter meinte er „der Turm darf nicht zu einer Todesfalle für 200 Menschen werden“, so Kuhn.

Diese Verfügung des OB Kuhn kam scheinbar ziemlich spontan. Der SWR, die Fernsehturm-Mitarbeiter des SWR und der Gastronomie am Fuß und im Korb des Turmes erfuhren von der Schließung durch die Medien. Man kann nur erahnen wie sich diese Menschen in diesem Augenblick gefühlt haben müßen.

Dementsprechend auch die Reaktion der SWR Media Services, der Betreiberin des Fernsehturms. Die Internetseite mit deren Reaktion titelt:

Der Turm ist geschlossen – wir sind traurig und erschüttert!

Der Geschäftsführer schreibt darin zur Schließung des Fernsehturms folgendes:
„Wir haben im Zuge der Turmsanierung 2011 mit Millionen Aufwand den Brandschutz auf den neuesten Stand gebracht, weil dies in unserem eigenen Interesse lag und wir alle Auflagen der Städtischen Behörden erfüllen wollten. Dass der Fernsehturm jetzt aus Sicherheitsgründen vorübergehend(?) geschlossen werden muss, trifft uns völlig unvorbereitet.“

In der Tat klingt die plötzliche Schließung des Fernsehturms mit der Begründung des Brandschutzes ziemlich fragwürdig.

 

Der Fernsehturm wurde in seiner fast 60 jährigen Geschichte immer wieder renoviert, modernisiert und den geltenden Vorschriften angepasst.

  • 13. Juli 1983 Nach neunmonatiger Renovierung werden die Gasträume im Fernsehturm wieder eingeweiht.
  • 1994 Der gesamte Turmschaft wird saniert und die wetterbedingten Einflüsse behandelt. Der Betonschaft erhält einen neuen Anstrich.
  • 1. Dezember 2000 Der Stuttgarter Fernsehturm ist nach einer umfassenden Sanierung wieder für das Publikum geöffnet.
  • 2003 Erneuerung der gesamten Aufzuganlage (Außer den Schienen und dem Gegengewicht) und der Eingangshalle. Unter anderem wurden je acht Seile à 180 Meter Länge pro Aufzug frisch eingezogen. Sicherheitsmasnahmen der Aufzüge: Wird der Aufzug zu schnell, setzt sofort ein Nothalt ein. Sollten buchstäblich alle Stricke reißen, gibt es eine Fangvorrichtung. Bleibt ein Fahrstuhl stehen wird Notumstieg initialisiert: Der noch funktionstüchtige Aufzug fährt automatisch auf selbe Höhe des stehenden Fahrstuhles. Danach lässt sich bequem über eine seitliche Tür in den funktionstüchtigen Aufzug umsteigen und sicher zur Erde zurück bringen. Betriebsvorschrift: Bei nur einem funktionsfähigen Fahrstuhl dürfen keine Personen mehr nach oben befördert werden, sondern alle noch oben befindlichen Personen werden über den funktionsfähigen Aufzug nach unten gefahren.
  • 2005/2006 Renovierung
    Zwischen April und November 2005 werden für 3,4 Millionen Euro die Aluminiumfassade des Turmkorbs komplett erneuert. Während dieser Zeit ist der Turm zum ersten Mal geschlossen. Aus Kostengründen (Küche wegen Brandschutz nicht möglich) bleibt das Restaurant- und das Küchengeschoss im Rohbauzustand. Erst 2006 wird die Ebene des ehemalige Turmrestaurant für Theateraufführungen genutzt. Es wird ein neuer Boden verlegt (EN 13501-1, C fl-s1 Schwerentflammbar, optimal wäre: DIN EN 13501-1, A1fl Nichtbrennbar).
  • 2011 mit Millionen Aufwand wird der Brandschutz auf neuesten Stand gebracht.
  • 2011 Nach einjährigem Umbau, Neueröffnung der Gastronomie (Café, Restaurant, Biergarten und Shop).

Man sieht also das der SWR, als Betreiber und Haupteigner, immer wieder alles dafür unternommen hat den Fernsehturm sicher zu betreiben und vor allem auch sicher für Publikumsverkehr zugänglich zu machen. In der gesamten bisherigen Betriebszeit ist auch noch nie zu einem ernsthaften Brandfall im und am Fernsehturm gekommen. Nach Aussage eines SWR Mitarbeiters gehen die höchsten Gefahren von den Plattformen hinabgeworfenen Zigarettenstummel aus.
Nun soll es auf einmal ein nicht zu tragendes Risiko sein den Fernsehturm weiter für Publikum offen zu halten. Die Stadt Stuttgart begründet dies hiermit: „der Turm darf nicht zu einer Todesfalle für 200 Menschen werden.“ Zudem sei eine Evakuierungszeit von rund einer Stunde zu lang.
Interessant wäre zu erfahren wie die Stadt Stuttgart, der OB Kuhn, auf diese Zahlenannahmen kommt. Nehme ich die Eckdaten des Fernsehturm komme ich auf folgende Zahlen:

Eine Aufzugfahrt je Richtung mit 16 Personen dauert rund 36 Sekunden zur Hauptplattform in 150 m Höhe. Somit benötigt ein Aufzug 72 Sekunden netto für einen Evakuierungsvorgang (hoch- und runter fahren). Gehe ich davon aus, das ein Aufzug für die Feuerwehr exklusiv genutzt wird ergeben sich folgende Ergebnisse.

  • 152,40 m max. 130 Personen oberen Plattform (8 Fahrten á 16 Personen = ~ 10 min.)
  • 150,00 m max. 300 Personen Hauptplattform (19 Fahrten á 16 Personen = ~ 23 min.)
  • 147,00 m max. 80 Personen Panorama-Café (5 Fahrten á 16 Personen = ~ 6 min.)

So komme ich auf maximal rund 45 Minuten Evakuierungszeit und nicht auf 60 Minuten, wie die Stadt Stuttgart behauptet. Wie schon erwähnt müßte dabei das Panorama-Café, die Haupt- und obere Plattform bis zum bersten voll mit Besuchern sein. Selbst im Sommer, während den Sommerferien, bei strahlendem Sonnenschein sehr unwahrscheinlich.

Nun sind die Personen Angaben ein Maximalwert der im Durchschnitt (und nur solche Werte werden zu einer Bewertung herangezogen) eher um einiges nach unten gesenkt werden kann. Des weiteren könnte man natürlich ganz oder teilweise beide Aufzüge zur Evakuierung nutzen wenn beispielsweise der erste Angreiftrupp der Feuerwehr hochgefahren wurde.

So würden sich sofort die Evakuierungszahlen pro Fahrt, also pro 72 Sekunden, von 16 Personen auf 32 Personen verdoppeln. Zudem muß man noch die Höhenrettungsgruppe (HöRG) der Berufsfeuerwehr Stuttgart berücksichtigen. Diese Truppe gibt es seit 1995 und ist extra für solche Fälle ausgebildet. Sie kann über extra ausgebildete Kletterer Personen von der Hauptplattform außen abseilen und so evakuieren.

Anmerkung: Eine Evakuierung über das Treppenhaus im Turmschaft ist nicht möglich da dieses zu eng (nur für eine Person breit) ist und die Handläufe heutigen Bestimmungen zu niedrig sind. Dadurch könnte es im Ernstfall zu Drängeleien und dadurch zu stürzen über das Treppengeländer kommen.

Würde man also die Messlatte der Stadt Stuttgart für ernst nehmen, müßte man sich ernsthaft ebenso Sorgen bei anderen Gebäuden in der Stadt machen.

In der Stadtbibliothek sind das Treppenhaus und die offenen Treppen im Innenbereich zu schmal für Rettungswege da auch hier keine zwei Personen aneinander vorbei kämen. Noch schlimmer würde es um die Ausstellungsflächen und das Café im Bahnhofsturm stehen. Hier gibt es zwei kleine, ältere Aufzüge und zwei sehr enge Wendeltreppen. Auch hier kommen keine zwei Personen aneinander vorbei. Der Tagblattturm würde ebenso ein großes Risiko darstellen. Auch die langen und steilen Rolltreppen und Treppe im Porsche-Museum wären im Ernstfall gefährlich. Käme dort nur eine Person zum stolpern könnte dies im Chaos enden.
Und sollte man wirklich der Argumentation der Stadt Stuttgart folgen, müßten sofort alle Planungen für die Tunnelbahnhöfe „Stuttgart 21“ und „Filderbahnhof“ sowie sämtlich Zulauftunnels eingestellt werden. Auch hier sind Evakuierungen nicht in kurzer Zeit möglich bzw. teilweise sogar Evakuierungen gänzlich unmöglich. Und dies bei einer extrem höheren realen Zahl anzunehmender zu evakuierenden Personen. Interessant das dies aber wortlos hingenommen wird.

Natürlich reiner Zufall ist, daß mit dem Projekt Stuttgart 21 genau unterhalb des Fernsehturms die Tunnelröhren des PFA 1.2 hindurch führen sollen. Nicht?!
Vielleicht aber hat sich OB Kuhn da an Köln und deren U-Bahn erinnert?
Frankfurter Rundschau: Stadtbahn sorgt für Erschütterungen – Der Dom in Köln wackelt

Pressemeldung Stadt Stuttgart, 27.03.2013
SWR Landesschau aktuell Baden-Württemberg, 27.3.2013 „Fernsehturm dicht – SWR kalt erwischt“
Stellungnahme des SWR zur Schließung des Fernsehturms in Stuttgart, 27.03.2013

Update 28.03.13 21:45Was mir noch eingefallen ist und ich für erwähnenswert erachte ist eine Betriebsvorschrift die besagt das bei winterlichen Temperaturen der Besucherverkehr auf dem Turm eingestellt werden muß da a) mit Eiszapfen am Turm und b) mit der Vereisung der im Turmschaft verlaufenden Steigleitung für das Löschwasser zu rechnen ist. Also kann ein Besucher nur auf den Turm solange sichergestellt ist das im Brandfall gelöscht werden könnte.
Des weiteren stellt sich mir die Frage, wenn das angebliche Problem „Brandschutz“ so extrem gefährlich zu bewerten sei, warum dann aus Sicherheitsgründen nicht sofort auch andere Turmbetreiber wie in Berlin oder Sydney ein Besucherstopp verhängt haben. Das Problem der Evakuierung ist bei all diesen Türmen ähnlich.
Stuttgarter Nachrichten: Gastronomen bangen um ihre Existenz
Stuttgarter Nachrichten: OB Fritz Kuhn und SWR-Intendant Boudgoust wollen reden

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Zum Fernsehturm:
1953 beschloss der Süddeutsche Rundfunk in Stuttgart einen Fernsehturm zu errichten. Erste Planungen sahen den Fernsehturm in der Stadtmitte, jedoch hatte man Angst er könne umkippen und eine Katastrophe auslösen. So entschloss man sich den Fernsehturm auf dem Hohen Bopser zu errichten. Schon im Jahr darauf (1954) erfolgte der erste Spatenstich. Nach nur 20 monatiger Bauzeit und rund 4,2 Millionen Mark fand im Oktober 1955 die Inbetriebnahme statt. Am 5. Februar 1956 wurde der Stuttgarter Fernsehturm dann offiziell seiner Bestimmung übergeben.
Anfangs wurde er von den Stuttgartern „Bohnenstange mit Bienenkorb“ genannt. Aber trotzdem wurde er das Wahrzeichen Stuttgarts und ein beliebtes Ausflugsziel geworden. Bis heute haben über 25 Millionen Menschen den Fernsehturm besucht. 217 Meter ist er hoch und 3000 Tonnen schwer. Einige gestalterische „Tricks“ lassen den Giganten trotzdem filigran und ästhetisch wirken: Zum Beispiel verläuft der Turmschaft nicht kerzengerade, sondern mit parabelförmig gekrümmtem Anlauf nach oben. Dieser leichte, kaum wahrnehmbare Schwung lässt die Erscheinung des Turms leicht und harmonisch wirken.
Fritz Leonhardts erster Stahlbeton-Fernsehturm der Welt wurde zum Vorbild für zahlreiche weitere Fernsehtürme. Der höchste deutsche Fernsehturm ist der 1969 in der DDR eingeweihte Berliner Fernsehturm am Alexanderplatz mit einer Höhe von 368 Metern. Beim Alex, aber auch anderen Fernsehturmbauwerken wie dem Moskauer Fernsehturm Ostankino oder dem Düsseldorfer Rheinturm ist die konische Basis ganz oder teilweise oberirdisch und damit sichtbar. In Berlin kann man dies heute daran erkennen kann, daß man um in ihn zu gelangen über außenliegende Treppen das Fundament überwinden muß. Beim Fernsehturm Stuttgart wurde aus ästhetische Gründen das konische Fundament unter die Erde gelegt. So trübte man das schlanke Erscheinungsbild nicht.
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2 Gedanken zu „Der Fernsehturm ist geschlossen – wir sind traurig und erschüttert!

  1. kira12

    was ist der Unterschied in Pukto Sicherheit zwischen den Fernsehtürmen Stuttgart und Berlin ?
    Berlin hat einen anderen Bürgermeister

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