Wenn es um die erfolgreiche Geschichte der Bahn in Deutschland geht, dann ist die Deutsche Bahn AG immer gerne ganz vorne dabei. So beispielsweise 2010 als man stolz „175 Jahre Eisenbahn in Deutschland“ feierte.
Geht es um die dunkle Flecken in ihrer Geschichte ist die Deutsche Bahn AG immer schnell dabei darauf hinzuweisen nicht Rechtsnachfolgerin der Reichsbahn zu sein (siehe SPIEGEL 21.01.2000).
Frei nach dem Pippilotta-Prinzip. Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.
2008 konnte man dies in beschämender Art und Weise live miterleben als es um den „Zug der Erinnerung“ ging. Der damalige Bahnchef Mehdorn versuchte mit aller Macht den Zug zu verhindern. Als dies scheiterte versuchte man den Zug aber wenigstens von den großen Bahnhöfen fern zu halten indem man mit irrwitzigen Gebühren das Abstellen des Zuges verteuerte. Die Bahn wollte sogar der Presse die Berichterstattung einschränken.
Dazu wird in der taz vom 16.02.2008: „Zug der Erinnerung“ trotz Widerstand die offizielle Bahn Konzernhistorikerin folgendermaßen zitiert:
„Trocken schreibt Susanne Kill, offizielle Konzernhistorikerin, in einer bahneigenen Publikation zu den Deportationen: „Die Kosten für die Transporte stellte die Reichsbahn den Auftraggebern, dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) und der Sicherheitspolizei, in Rechnung. Grundlage der Berechnung war der Tarif für die Personenbeförderung in der 3. Klasse, der 1942 vier Pfennig pro ‚Personenkilometer‘ betrug. Kinder unter zehn Jahren zahlten die Hälfte, Kinder unter vier fuhren umsonst.“ Mengenrabatt gewährte die Reichsbahn auch: „Ab 400 Personen wurden Preisnachlässe für die Sonderzüge, die für ihre Insassen den Tod bedeuteten, gewährt. In Deutschland waren die Fahrtkosten von den Juden selbst zu entrichten, d. h. an die Gestapo abzuführen.“ Etwa drei Millionen Menschen transportierte die Bahn laut NS-Forschern in die Vernichtungslager. Man tritt gewiss niemandem zu nahe, stellt man kühl fest: De facto verdiente die Deutsche Bahn früher – und sie tut es heute wieder – am Holocaust. Damals an den Deportationen, heute an der Erinnerung an sie.“
Wer sich etwas mit dieser dunklen Geschichte in Stuttgart beschäftigt kommt natürlich nicht an den schrecklichen Deportationen in die Konzentrationslager vorbei.
Die Juden aus dem ganzen Land wurden zusammengekarrt und zuerst auf dem Killesberg „zwischengelagert“. Dort wurden sie für ihre letzte Reise in den Tod vorbereitet und dann hinunter zum Güterbahnhof gebracht.
Aus Stuttgart rollte der erste Deportationszug vom inneren Nordbahnhof am 1. Dezember 1941 nach Riga. Es folgten weitere „Sonderzüge“ vom inneren Nordbahnhof in die Konzentrationslager im Osten.
26. April 1942 nach Lublin
13. Juli 1942 nach Auschwitz
22. August 1942 nach Theresienstadt
1. März 1943 nach Auschwitz
13. März 1943 nach Auschwitz (württembergische Sinti)
17. April 1943 nach Theresienstadt und Auschwitz
17. Juni 1943 nach Theresienstadt und Auschwitz
24. September 1943 nach Auschwitz
11. Januar 1944 nach Theresienstadt
Die Bahn verdiente dabei im Übrigen recht gut mit. 50 RM nahm die Bahn jedem Juden für die Fahrt in den Tod ab. Dazu kamen noch 5 RM für ein, niemals ausgehändigtes, Proviantpaket sowie 1,15 RM für die Zustellung der Beschlagnahmeverfügung durch den Gerichtsvollzieher. Zusätzlich wurden noch 2000 RM als „Eintrittsgeld“ und 180 RM als monatliches „Pflegegeld“ für fünf Jahre im Voraus einbehalten.
Von den über 2600 Juden die über den inneren Nordbahnhof Stuttgart deportiert wurden kamen nur wenige nach Kriegsende wieder zurück.
Mehr dazu: Kontext „Verlorene Kindheit“ 18.04.2012
Am 14. Juni 2006 wurde auf den bis heute existierenden Gleisen durch den dafür gegründeten Verein „Zeichen der Erinnerung e. V“ die gleichnamige Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“ am inneren Nordbahnhof eingeweiht.
Durch das Mega-Projekt Stuttgart 21 wird nun das Gebiet des Inneren Nordbahnhofs komplett umgekrempelt. Zum einen wurde hier ein Zwischenangriff für eine Tunnelröhre gegraben und zum anderen wird das Gelände von der Bahn wieder als Umschlagsplatz, allerdings diesmal für Abraum, genutzt. Das unglaublich makabere dabei:
Der Umschlag findet auf genau denselben Gleisen statt wie damals die Deportationen in den Tod.
Nach und nach wurden nun die alten Gleise von damals gegen neue ausgetauscht. Jedoch entledigt man sich so nicht seiner Vergangenheit. Die Gleise führen in einer Linie auch heute noch genau auf die Deportationsgleise in der Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“ – nur ein Betonsteg trennt die Bereiche voneinander. Lediglich dieser geringe Abstand soll wohl nach Meinung der Bahn die Pietät wahren.
Ich ärgere mich darüber, seit die ersten Baufahrzeuge dort ziemlich taktlos ihre Arbeit verrichteten und dort Baumaterial deponiert wurde. So als wäre es eben ein ganz normale Baustelle. An einem solch geschichtsträchtigen Ort kann man aber bei weitem nicht von einer „normalen“ Baustelle sprechen.
So machte ich meinem Ärger bei einer Begehung am 3. November 2013 über twitter mit folgendem Eintrag Luft: „Die Bahn ist halt beständig. Nahtlos an die Deportationsgleise schließt nun die DB Logistik an.“
Jeder, der die Örtlichkeit und deren Geschichte kennt, wird mir Recht geben. Auch wenn die Deutsche Bahn AG nicht die Rechtsnachfolgerin der Reichsbahn ist, so ist es doch eine moralische Aufgabe des Unternehmens, sich der Geschichte dieses Ortes bewusst zu sein. Dass die Deutsche Bahn AG auf den ehemaligen Deportationsgleisen einen Teil ihrer Logistik für den Abtransport von Bauabraum der Stuttgart 21 Baustelle dort eingerichtet hat ist durch den PFA 1.1, 1.2, 1.5 sowie 1.6 über die Logistikfläche C2/C1 behördlich dokumentiert.
Im Planfeststellungsabschnitt 1.1, Anlage 13 steht unter Punkt 1.2 folgendes:
„Baulogistikfläche C 1 übergeordnet
– Abstell- und Puffergleise für leere und beladene Güterzüge; hierbei werden bestehende Gleisanlagen genutzt.“
Anmerkung: Die bestehende Gleisanlagen sind die Deportationsgleise des Inneren Nordbahnhofs.
Die Bahn AG fühlte sich jedenfalls von meinem tweet beleidigt und erstattete Anzeige gegen mich.
Der Vorwurf: Ich hätte wider besseres Wissen eine unwahre Tatsache gegen ihn (die Bahn) behauptet und verbreitet, welche denselben (die Bahn) verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet sei.
Die Tat: Vergehen der Verleumdung gemäß §187 StGB
§ 187 StGB Verleumdung
Wer wider besseres Wissen in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Der BECK kommentiert hierzu:
„Ausschlaggebend hierfür ist, dass der Täter wissentlich die Unwahrheit verbreitet.“
Anmerkung: Wie gesagt, die Bahn hat zumindest die moralische Nachfolge der Reichsbahn zu tragen. Sie zahlt übrigens auch in den NS-Entschädigungsfonds
Wenn man im Rechtslexikon liest was man genau darunter zu verstehen hat, findet man folgendes:
„Die Art der beleidigenden Handlung ist unerheblich. Sie kann verbal, schriftlich, durch Körpersprache (z. B. Tippen an die Stirn, Zeigen des Mittelfingers) erfolgen, aber auch mittels eines körperlichen Angriffs.
Voraussetzung ist nur, dass die Äußerung tatsächlich ehrverletzend ist (bloßen Unhöflichkeiten oder Taktlosigkeiten reichen nicht) und die Ehrverletzung nach außen gedrungen ist, woran es bei bloßen schriftlichen Aufzeichnungen für den eigenen Gebrauch und Äußerungen im engsten Familienkreis fehlt.
Außerdem muss derjenige, gegenüber dem die Äußerung erfolgt, sie als Beleidigung auffassen.“
Anmerkung: Es ist schon erschreckend, wenn mir die Bahn in diesem Zusammenhang also „Ehrverletzung“ vorwirft. Ergo „ehrt“ die Bahn also die Toten mit einer erneuten „Logistik Fläche“ am selben Ort von dem aus im Zweiten Weltkrieg die Deportationen mit der Bahn begannen. Das verstehe wer mag. Ich nicht.
Interessant dabei ist noch, dass für dieses „Vergehen“ als Zeugin eine Kriminaloberkommissarin (KOK) des Polizei Präsidiums Stuttgart (auf Twitter aktiv unter @pp_stuttgart) aufgeführt wurde. Man könnte daraus schliessen, dass (insbesondere) ich auf meine Äußerungen im Social Web polizeilich beobachtet werde und der Bahn AG Hinweise gegeben wurden, die dann zur Anzeige führten – ein Vorgang, der einem Angst um unsere Demokratie machen würde.
Ich habe zu der Anzeige bewusst nicht Stellung genommen und wurde daher nun rechtskräftig zu 15 Tagessätzen verurteilt.
Warum ich mich nicht dazu äußerte? Ich dachte nicht, dass diese Anzeige ernsthaft weiterverfolgt würde. Doch ich hatte mich natürlich bei der Stuttgarter Justiz verschätzt, deren fragwürdiger Umgang mit der NS-Vergangenheit bekannt ist.
Ich kann nun nur noch hoffen, dass die Würde der Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“ nicht noch weiter durch die schändliche Baustelle (in direkter Nachbarschaft) verletzt wird und man die schreckliche Taten an diesem Ort niemals vergessen wird.
Ade
– Update, 23.12.2014 –
Heute habe ich den schönen Tag genutzt einen Spaziergang zu machen. Auf meinem Weg kam ich auch am Zeichen der Erinnerung vorbei. Ich glaube, ich muß nicht viel sagen wenn man diese Bilder sieht.
Kurz und knapp: Ich könnte Kotzen!
Ein Bauzaun wahrt nun, für die Bahn scheinbar ausreichend, die Würde dieses Geschichtsträchtigen Ortes. Liebe Bahn, zwischen Pragfriedhof und dem Zeichen der Erinnerung kommt diese Art von trampeliger „Neunutzung“ gar nicht gut! VOn Fingerspitzengefühl noch nie was gehört wie es scheint.
Bilder: Eigenes Bildarchiv, Bildarchiv Preusischer Kulturbesitz, Deutsche digitale Bibliothek, zeichen-der-erinnerung.org, google maps
Pingback: Baustellen haben direkt neben einer Gedenkstätt nichts zu suchen - www.stuttgart-fotos.de
Danke für die Standhaftigkeit!
Danke dafür! Sowas nennt man Zivilcourage. Ich bin gespannt, was das „böse Internet“ draus macht.
André, vielen Dank für Deinen Bericht! Ja, Polizei und Justiz in Stuttgart sind in ihrem Verfolgungswahn nicht zu unterschätzen. Wirst Du Rechtsmittel gegen dieses Urteil einlegen?
Nein, das Urteil ist jetzt rechtskräftig.
Habe mich nicht dazu geäußert, da ich nicht dachte das dies tatsächlich weiterverfolgt würde…
Ich halte diese Veröffentlichung ebenfalls für eine Verleumdung und finde es richtig, dass diese strafrechtlich verfolgt wird.
Es ist schon beschämend, wenn der Verfasser selbst vor dem Gedenken an die Opfer des NS nicht halt macht, um Stimmung gegen S21 zu machen.
Ich hoffe, dass er dafür gebührend zur Verantwortung gezogen wird.
Hätten Sie den Artikel ganz gelesen, wüßten Sie, dass er nichts mit Stuttgart 21 zu tun hat.
Es geht um die Baustelle der Bahn. Ganz ohne Wertung des Projektes.
Hey – Proler goes social media! #popcorn #S21
LOL 🙂
johannes k., ich würde sagen: setzen, sechs, thema verfehlt. hätten sie den blogbeitrag gelesen anstatt reflexartig „kreuziget ihn“ zu rufen, hätten sie das, was sie geschrieben haben, nicht geschrieben. es sei denn, sie haben schlicht nicht verstanden, worum es geht.
Der typische S21-Befürworter denkt eben (nur) in der Gegenwart – und dabei nicht allzu weit. Da kannste nix machen…
@Johannes K. – was kann der Verfasser dafür, wenn Ihr peinliches Megaprojektle nicht voran kommt? Nur weil die Bahn zu doof dazu ist muss man noch lange nicht so kindisch und unsachlich herumpöblen, wie Sie es hier tun. Diesen Umgangston können Sie gerne auf Ihrer Facebook-Fan-Page oder im Turmforum anwenden. Hier unterhalten sich nämlich erwachsene Menschen.
Pingback: Der Bahn ist ihre Vergangenheit unangenehm | Zwuckelmanns Meinung
Juristisch interessant könnte sein, dass die oben benannte Quelle http://www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de/index.php?id=792 nicht mehr erreichbar ist. Der Verein wird von der Deutschen Bahn AG und vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur gefördert.
Mit Dank für den tweet und bestem Gruß
Wo gibt es denn bitteschön eine “ ‚Twitter‘-Seite für Stuttgart 21″ ? Nur weil du den Hashtag #S21 verwendest hast du dich mit dem Tweet doch nicht direkt an die Bahn gewandt oder dich auf irgendeiner der Bahn gehörenden Plattform geäußert.
Das mit der Polizistin ist so zu erklären, dass die Bahn eine Anzeige macht und die Polizistin dies dann bezeugt, bevor es dann zur Justiz weitergeleitet wird. Die Polizei darf nicht auf jemanden zugehen „Es berichtet jemand was schlechtes über euch, hier habt ihr ein Beweismittel. Wollt ihr Anzeige erstatten? Bitte bitte bitte macht es“.
Bin ehrlich gesagt froh dass ich nur während meiner Ausbildung am Amtsgericht Stuttgart für ein paar Monate im Strafgericht war, und zum Glück auch noch vor der Hochzeit der S21-Verfahren. Sonst hätte ich meinen Job nicht mit meinem Gewissen vereinbaren können.
Gruß aus Hamburg
Wenn dieser „Fall“ so einfach einschläft (hallo Medien!?!), dann ist das ein schlechtes Zeichen. Muss bzw. soll man sich an sowas gewöhnen…?
„Das mit der Polizistin ist so zu erklären, dass die Bahn eine Anzeige macht und die Polizistin dies dann bezeugt, bevor es dann zur Justiz weitergeleitet wird. Die Polizei darf nicht auf jemanden zugehen “Es berichtet jemand was schlechtes über euch, hier habt ihr ein Beweismittel. Wollt ihr Anzeige erstatten? Bitte bitte bitte macht es”.“
Diese Sachlichkeit ist hier aber gar nicht gefragt.
Die Version des Andre liest sich doch wesentlich spannender und passt wesentlich besser zu den Verschwörungstheorien, welche hier so gern verbreitet werden.
Wie fade und ernüchternd ist da die Realität: Irgendjemand (z.B. die Bahn) bringt einen Sachverhalt zur Anzeige, der ermittelnde Beamte prüft dies nach, indem er den Eintrag liest und bezeugt dann, dass dieser Eintrag tatsächlich existiert / existierte.
Da ist man nun leider doch gar kein so gefährlicher Widerstandskämpfer, welcher unter ständiger Beobachtung steht, sondern ggf. nur ein schnöder Nörgler; wie traurig und wie wenig heroisch.
Immer diese Probleme mit den „neuen Medien“ – solche Äußerungen gibt es tausendfach täglich auf Twitter und niemand regt sich derartig darüber auf (zumal es hier auch noch um sprachliche Feinheiten innerhalb von 140 Zeichen geht). Aber bei bestimmten Menschen „lohnt“ sich die Beobachtung eben doch und man nutzt die günstige Gelegenheit, um juristisch nachzuhaken. Was lernen wir daraus…?